[Blog] Gemeinsam statt einsam #01

Spree … wald, …gurke, …bogen? Spreefeld – Cluster-Wohnen am Wasser in Berlin

Schon Tage vorher waren viele GenossInnen gespannt auf unseren virtuellen Besuch Michael LaFond – erster Gast in der Erzählreihe „Gemeinsam statt einsam – von anderen lernen“ am Freitag, 19.03.21 ab 19:00 Uhr im Live-Stream der ecovillage hannover e.G. „Da kommt jemand aus Berlin von der Genossenschaft Spreewald – oder so ähnlich“ – so ähnlich. Das wunderschöne Gelände des Wohnprojekts SpreeFELD liegt in Berlin direkt am Wasser zwischen Jannowitzbrücke und Ostbahnhof. Um hier 60 Wohnungen zu realisieren, wurde eigens dafür eine neue Genossenschaft gegründet. Die ersten BewohnerInnen zogen 2014 ein.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Warum interessiert uns als ecovillage Genossenschaft gerade dieses Projekt aus der Hauptstadt mitten im dichten Stadtgebiet? Zuerst das, was uns verbindet: Der Wunsch, ökologisches Bauen mit gemeinschaftlichem Wohnen und neuen Wohnformen in einer autofreien Wohnanlage zu verbinden. Was uns unterscheidet: Die Planungsphase – bis zum ersten Einzug konnten sich die BerlinerInnen mehr als 3 Jahre Zeit nehmen, um sich Kennenzulernen (und natürlich ohne dabei Pandemie-Bedingungen unterworfen zu sein). Unter den vielen gemeinschaftlichen Wohnprojekten in Deutschland ist es eins der größeren (ca. 150 BewohnerInnen) – das beeindruckt uns zwar nicht mit unseren angestrebten 500 Wohneinheiten, aber bietet Einblick in komplexere Strukturen als bei manchem kleinen Projekt.

Alltag im Cluster-Wohnen bzw. Wohngemeinschaften

Neben den ganzen Zahlen und Fakten, die man bei so einem Projekt aufzählen kann (siehe auch: Link sowie Link ), interessierte uns aber am meisten etwas, was nicht in Statistiken auszudrücken ist: Die sozialen Komponenten und der Alltag des Zusammenlebens. Da Michael LaFond selber in der Spree WG, einer Cluster-Wohngemeinschaft wohnt, war das Gespräch von der Dynamik dieser Wohnform geprägt.

Zwischen Flexibilität und Regeln

Clustern, sowie WGs, sind nach seinen Beschreibungen Gemeinschaft und individuelle Entfaltung zugleich, ist die Kunst, Regeln und Flexibilität zu vereinbaren. Während die einen voll auf die Gemeinschaftsküche setzen, haben die anderen zusätzlich eigene kleine (Tee-)Küchen. Ein Gemeinschaftsbad mit Wanne ergänzt die kleinen Einheiten in den Wohnungen. Gemeinschaftsflächen sind kein Selbstzweck. Sie sollten in ihrer Funktion die Wohnungen ergänzen und bereichern, so dass sie auch wirklich von Nutzen sind. Sonst werden sie eventuell nur wenig in Anspruch genommen. Sie bieten aber auch Platz für Entfaltung und Veränderung. Als 2015 viele Menschen in Deutschland Zuflucht suchten, wurden kurzerhand zwei Gemeinschaftsbereiche so ausgebaut, dass dort Geflüchtete in die Genossenschaft integriert werden konnten.

Rücksichtnahme und Konfliktvorbeugung

Wie sieht der Alltag aus? Einen gemeinsamen Kochplan gibt es in der Spree WG nicht. Das Bedürfnis nach Ruhe wird nicht nur respektiert, hier wurde auch baulich investiert – eine lohnenswerte Ausgabe. Gäste sind herzlich willkommen, die spontane Teenie-Party mit den 50 besten Freunden ist dagegen ein No-Go. Rauchen und Haustiere sind in den Gemeinschaftsbereichen nicht gestattet. Und dass die Küche immer so zurückgelassen wird, dass der nächste gleich wieder auf sauberen Flächen sein Essen zubereiten kann, ist selbstverständlich – nachdem über die Jahre immer mal wieder an diese Regel erinnert werden musste. Routinen im Gemeinschaftsleben stellen sich nicht von heute auf morgen von selber ein – das gilt auch für einen Kreis gebildeter höflicher MittelschichtsbürgerInnen. Konflikte sind unvermeidlich. Besonders hat uns Michael ans Herz gelegt, frühzeitig Konfliktlösungskompetenzen und -methoden einzuüben und Konflikten vorzubeugen: Ein monatliches WG-Plenum ist keine Business-Meeting (auch wenn Tagesordnung und Protokolle sinnvolle Dokumente sind) – hier gibt es auch Raum für persönliches z.B. durch eine „Check-in“- bzw. Befindlichkeits-Runde am Anfang – wie geht es den Einzelnen? Mit welchen Alltagsbelastungen und -freuden kommen sie in den gemeinsamen Austausch? Immer wieder braucht es mal externe Moderation, um die Genossenschaft durch Prozesse und Entscheidungen zu leiten. Das Gruppengefühl der Spree WG wird durch gemeinsame Wochenendklausuren gestärkt, wo alle sich außerhalb der Alltagsumgebung anders und neu kennenlernen und Zeit füreinander mitbringen können. Im Alltag stärken Geselligkeit und Freude beim gemeinsamen Essen die Gemeinschaft.

Ein offenes Quartier aus Wohnen und Arbeiten

Am Ende der sehr kurzweiligen einstündigen Veranstaltung kennen wir nun ein bisschen das Spreefeld – und lernen, dass dazu auch noch der Spreeacker gehört. Die ganze Wohnanlage öffnet sich mit Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss (Büros, Co-Working, Holzwerkstatt, Kinderladen, Café etc.) und dem essbaren Quartiersgarten rund um die Häuser der Nachbarschaft. Wohnen, Arbeiten, sich Treffen, Gärtnern und Feiern werden an diesem Ort verbunden. Vielfalt im Lebensumfeld hat sich in Pandemiezeiten auf jeden Fall bewährt. Das Homeoffice und Co-Working-Spaces auf der WG- sowie auf der Genossenschaftsebene in einem lebendigen, grünen Umfeld, eingebunden in eine Gemeinschaft, sind weniger einsam, trotz Abstandsgebot. Auch in Zukunft werden gemeinschaftliche Wohnprojekte wie das Spreefeld oder unser ecovillage wohl Arbeiten und Wohnen stärker verknüpfen – und dann hoffentlich nicht mehr vereinzelt im Homeoffice, sondern im kreativen direkten Austausch miteinander.

Für das ecovillage hannover: Sara Reimann – Co-Gastgeberin Wohnhof-AG H1, zukünftige Clusterbewohnerin, seit 2014 für gemeinschaftliches Wohnen engagiert
Über unseren Gast: Michael LaFond, Bewohner und Mitgestalter vom Spreefeld, ist Co-Housing-Experte, Dozent, Projektentwickler, sowie Gründer und Direktor von „id22: Institute for Creative Sustainability“

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